Verantwortungsdemokratie statt Stimmungsdemokratie
Fairness, Freiheit, Wohlstand und Problemlösungen stehen im Widerspruch zu Nationalismus und Populismus, die nur Ängste schüren und nach Schuldigen suchen. Ein Gastkommentar von Othmar Karas (OLS).
Die liberale Demokratie gehört zu den großen Errungenschaften der Menschheit und die Einigung der Staaten Europas ist die beste Idee, die wir auf unserem Kontinent je hatten. Im Europa der Europäischen Union müssen Rechtsstaatlichkeit, Meinungs- und Pressefreiheit, ungeteilter Respekt vor den Menschenrechten, der Schutz von Minderheiten und die politische Mitbestimmung der aufgeklärten Bürgerinnen und Bürger die Politik formen. Das ist eine Politik, in der Politiker die Verantwortung übernehmen und sich für richtige und notwendige Entscheidungen zum Wohle der Bürger, für ein faires Zusammenleben und den solidarischen, sozialen Zusammenhalt in den Mitgliedstaaten und in Europa einsetzen. Das nenne ich Verantwortungsdemokratie. Doch dieses Ideal gerät zunehmend ins Wanken. Für dieses Ideal müssen wir uns einsetzen und ein Abgleiten in eine Stimmungsdemokratie –Populismus – verhindern.
Ich bin überzeugt, man kann mit Haltung, Mut und Prinzipien Mehrheiten für das Unpopuläre, aber Bessere erreichen.
Das ist mir bisher gelungen. Und es ist heute notwendiger denn je. Dafür müssen wir auch die Entscheidungsprozesse in der EU demokratischer und effizienter machen. Stichwort: Einstimmigkeit beseitigen – keine Entscheidung ohne Beteiligung der Parlamente.
Denn mit Erschrecken stellen wir fest, dass 30 Jahre nach dem Fall des Unrechtsregimes in Osteuropa, dem Fall des Eisernen Vorhangs und der Berliner Mauer, der Rechtsstaat und die liberale Demokratie in Gefahr gebracht werden. Die Lehre aus dem Fall des Kommunismus ist es, dass Regime, die die Rechtsstaatlichkeit, die Menschen- und Grundrechte nicht respektieren, niemals Vertrauen, Freiheit und Fairness in der Gesellschaft sicherstellen können. Ein Land, dass keine unabhängigen Höchstrichter hat, die Zivilgesellschaft und die Medienfreiheit unterdrückt, das kann seinen Bürgern keine Fairness bieten und kein Vertrauen schaffen.
Recht als Grundlage verantwortungsvoller Politik
Daher muss vollkommen außer Streit gestellt werden, dass die Rechtsstaatlichkeit, die EU-Grundrechtecharta und die Menschenrechtskonvention die Grundlagen jedes politischen Handelns sind. So wie die konstruktiven politischen Kräfte im Europaparlament das verstärkte Miteinander in Europa und die Europäische Union außer Streit gestellt haben. Das heißt freilich nicht, dass die Europäische Union perfekt oder bereits fertig ist. Aber wir müssen auf den Erfolgen Europas aufbauen und die EU zum starken und weithin glaubwürdigen Sprecher des Kontinents in der Welt machen. Ansonsten werden wir zwischen Trump, Putin und Xi Jinpings China aufgerieben.
Eine handlungsfähigere Europäische Union ist auch das Beste für Österreich und alle Bürger Europas.
Die Populisten spielen dagegen mit dem Gefühl der Unsicherheit, sie schüren Ängste und wissen immer, wer angeblich schuld ist. Aber wer den Populisten in die Falle geht, der sorgt dafür, dass genau das Realität wird, wovor er sich fürchtet. Mehr Abschottung, mehr Nationalismus, mehr Abgrenzung und weniger Zusammenarbeit und Zusammenhalt auf europäischer Ebene würden zum wirtschaftlichen Abstieg führen – vor allem zum Abstieg des Mittelstands und zur weltpolitischen Bedeutungslosigkeit Europas. Vertrauen, Fairness, Freiheit, Wohlstand und Problemlösungen einerseits und Populismus und Nationalismus andererseits schließen einander aus.
Brexit: Spiel mit Ängsten löst keine Probleme
Ein dramatischer Beleg dafür ist der Brexit: Er zeigt, wie man mit Lügen eine Abstimmung gewinnen kann, aber zugleich kein einziges Problem löst und wie die Brexit-Verfechter kein einziges Versprechen einlösen können. Im Gegenteil: Sie haben Großbritannien mit der Forcierung ihrer verantwortungslosen Stimmungsdemokratie in ein beispielloses politisches Chaos gestürzt und haben vorher keinen konstruktiven Ausweg aus dem von ihnen verursachten Dilemma überlegt. Sie haben mit den Menschen, dem Land und der EU gespielt und sich danach verabschiedet – die Menschen alleine gelassen.
Daher müssen wir mit seriöser und verantwortungsvoller Politik Verantwortungsdemokratie und liberale Demokratie auf allen Ebenen stärken im Gegensatz zur sogenannten autoritären Demokratie, zur Stimmungsdemokratie, zum Nationalismus und Populismus. Wir müssen den Schutz von Minderheiten und Menschenrechten gewährleisten. Den Kompromiss, das Miteinander und das Füreinander in dem Mittelpunkt stellen und nicht die unbedingte Durchsetzung einer politischen Meinung oder Maßnahme. Daher darf es keine politischen Entscheidungen mehr ohne die Parlamente geben, denn sie sind die Bürgerkammern Europas, die Vertretungen der Bürgerinnen und Bürger in Europa.
Auf europäischer Ebene heißt das, dass das Europaparlament und die Mitgliedstaaten ausnahmslos alle politischen Entscheidungen gleichberechtigt gemeinsam treffen müssen. Statt der Einstimmigkeit der Mitgliedstaaten muss es Mehrheitsentscheidungen in allen Politikbereichen geben – eine einfache Mehrheit im Europaparlament und die „doppelte Mehrheit“ der Mitgliedstaaten. Das ist die Mehrheit der Mitgliedstaaten, die gleichzeitig die Mehrheit der europäischen Bevölkerung repräsentiert. Das wäre demokratischer, transparenter und effizienter.
Nur ein handlungsfähiges Europa schafft Vertrauen
Zum Beispiel in der Außenpolitik werden wir es ohne diese Reform der Entscheidungsprozesse längerfristig nicht schaffen, auf Augenhöhe mit den USA, Russland und China zu agieren. Interne Blockaden, Selbstlähmung und Erpressungsmöglichkeiten einzelner Mitgliedstaaten führen zu einem wenig überzeugenden internationalen Auftritt der EU, was wiederum einem Vertrauensverlust der Bevölkerung zur Folge hat. Diesen Teufelskreis müssen wir durchbrechen.
Es kann nur Vertrauen, Fairness, Freiheit, Wohlstand und Problemlösungen geben, wenn die maßgeblichen Politiker konsequent und verantwortungsvoll im Sinne der Menschen und der Zukunft handeln, nicht ihr Fähnchen bloß in den Wind hängen oder Ängste schüren. Wenn wir uns für die Zusammenarbeit und den Zusammenhalt in Europa einsetzen. Wenn wir die EU als den Sprecher Europas in der Welt stärken.
Lasst mich mit den treffenden Worten von Martin Luther King schließen: „Die Feigheit fragt: Ist es sicher?‘ Die Eitelkeit fragt: Ist es populär?‘ Doch das Gewissen fragt nur: Ist es richtig?‘ und es kommt eine Zeit, in der man eine Position einnehmen muss, die weder sicher, noch populär ist, die man jedoch einnehmen muss, weil einem das Gewissen sagt, dass sie richtig ist.“ Dieser Gedanke entspricht meinem politischen Selbstverständnis und für dieses werbe ich auch bei Dir.
Seine Dissertation hat er zum Thema „Die europäische Demokratie – Grenzen und Möglichkeiten des Europäischen Parlaments“ verfasst.