Leere Kirchen & volle Spitäler – eine Rückschau zum MKV Online-Talk
Wie wirkt sich die Pandemie auf unsere Gesellschaft aus? Beim ersten MKV Online-Talk ging es um Solidarität, den japanischen Friedensgruß und Don Camillo. Unter https://youtu.be/qm0ZLPy5WfM kannst du die Aufzeichnung des Livestreams nachschauen.
Am 18. April lud MKV-Kartellvorsitzender Walter Gröblinger zum ersten MKV Online-Talk. Im Livestream diskutierten MKV-Seelsorger Dr. Gregor Jansen, Oberärztin Dr. Nina Mitrovits, Univ.-Prof. Wolfgang Mazal und Philosoph Dr. Simon Varga beim ersten MKV Online-Talk.
Dechant Gregor Jansen hält in seiner Pfarre seit Beginn der Pandemie regelmäßig Online-Gottesdienste ab. Er fühlt sich dabei an den Film-Pfarrer Don Camillo erinnert. Als dessen Dorf überschwemmt wird, feiert er die heilige Messe allein in der Kirche. Doch seine Stimme hallt über das Wasser zu den Bürgern. „Unsere Botschaft heute ist wie im Film: Jetzt stehe ich hier allein. Doch es wird eine Zeit kommen, in der wir wieder gemeinsam feiern.“
Auch in den Spitälern habe sich eine neue Realität breitgemacht, wie Oberärztin Nina Mitrovits berichtet. Das Routineprogramm sei auf Null heruntergefahren. Akute Erkrankungen, wie etwa Herzinfarkt-Checks würden selbstverständlich weiter durchgeführt. Der volle Fokus sei aber auf der Bekämpfung des Coronavirus. Die Umstellung auf das Ausstellen von Rezepten via Telefon und neuer Medien würde mittlerweile sehr gut funktionieren, eine Ferndiagnose bei etwas komplexeren Themen ist trotz der modernen Möglichkeiten oftmals schwierig.
Universitätsprofessor Wolfgang Mazal vermisst hingegen den direkten Kontakt zu seinen Studenten. Der lebendige Vortrag im Hörsaal, aber auch das Prüfungsgespräch im selben Raum seien durch Online-Methoden nicht gleichwertig zu ersetzen. Einen nationalen Schulterschluss, wie er zu Beginn der Corona-Maßnahmen verkündet wurde, erwarte er eigentlich immer, wenn es um die Belange der Österreicher geht.
Für den Philosophen Simon Varga fehlt bei der Online-Uni vor allem der Raum für Diskussion und kritische Auseinandersetzung im direkten Gespräch.
Solidarisierung auf nationaler Ebene
Eine große Rolle im Talk spielte die Solidarität. Arbeits- und Sozialrechtler Mazal nimmt in der Krise keine EU-Entsolidarisierung wahr, sondern vielmehr eine zunehmende Solidarisierung auf nationaler Ebene: „In der Krise suchen wir Nähe im Bekannten. Gemeinsame Geschichte und vor allem eine gemeinsame Leidensgeschichte kann aber später ein starkes bindendes Element in der EU werden.“
Dechant Jansen sieht Solidarität vor allem in Form von Nachbarschaftshilfe und in kleinstrukturierten Organisationen. Das Sprichwort, dass Not beten lehre, will er nicht gelten lassen: „In der Not beten wir anders. Das kommt mit einer gewissen Unsicherheit mit.“
Lust an der Kritik
Simon Varga verortet nach Wochen des Shut downs und der Ausgangsbeschränkungen eine zunehmende Freude an der Kritik in der öffentlichen Debatte und in den Medien: „Ich habe immer öfter den Eindruck, dass Kritik bewusst und aus Absicht und nicht aus Überzeugung geübt wird. Beim sogenannten nationalen Schulterschluss hatte ich noch den Eindruck, dass die Maßnahmen in allen Köpfen angekommen sind.“ In der breiten Bevölkerung seien die Maßnahmen allerdings gut angekommen, so Mitrovits: „Die Leute halten sich an die Abstände und auch das Maskentragen hat sich gut durchgesetzt. Dadurch wird die Tröpfcheninfektion verhindert.“
Neue Normalität auch in der Liturgie
Die sogenannte „neue Normalität“ erinnert Wolfgang Mazal in vielerlei Hinsicht an die alte Realität in Japan. „Dort ist es selbstverständlich eine Maske zu tragen, wenn man etwa verkühlt ist. Damit will man Ansteckung vermeiden. Mit schlechter Luft oder der Umwelt hat das nichts zu tun. Das ist Höflichkeit.“
Während Friedensgruß in der Kirche in Österreich per Handschlag gegeben wird, geben ihn Japaner traditionell durch Verbeugung. „Bei uns würde die Verweigerung des Handschlags als aggressiver Akt gewertet werden. In Japan ist es genau umgekehrt. Vielleicht gibt es die neue Normalität bei uns auch bald in der Liturgie“, so Mazal.
Ökonomie geht nur gemeinsam
Sowohl das gesellschaftliche als auch das wirtschaftliche Leben werden durch die Krise stark gezeichnet. In Österreich sei vor allem in der Wirtschaftspolitik ein Gegeneinanderdenken üblich geworden, so Wolfgang Mazal. „Das Ausspielen von Arbeitern gegen Unternehmer ist Entsolidarisierung. Das ist falsch und für alle gefährlich. Unternehmer sind heute zum Großteil ohnehin Ein-Personen-Unternehmen.“ Wie Philosoph Varga hervorhebt ist genau diese Zusammenarbeit auch die Wurzel der Ökonomie: „Euokos ist die gemeinsame Arbeit an Haus und Hof. Ökonomie ist immer etwas Gemeinsames gewesen. Das finden wir in Schriften bis zurück zu Homer.“