Das Faszinierende ist der Umgang zwischen Jung und Alt
In der Wiener Zeitung vom 25.05.2023 ist folgendes Interview mit dem Kartellvorsitzenden erschienen:
Pennälertag nennt sich das Jahrestreffen des Mittelschüler-Kartell-Verbands (MKV), das traditionell zu Pfingsten stattfindet. Schauplatz des heurigen Pennälertages ist Wiener Neustadt, wo viele der insgesamt rund 17.000 Mitglieder der österreichweit 162 katholischen Studentenverbindungen gemeinsam das 90-jährige Bestehen ihres Verbandes begehen. Der MKV-Vorsitzende Thomas Weickenmeier erklärt im Interview, wie der Verband zur ÖVP steht, warum immer noch keine Mädchen aufgenommen werden und was ihn am Verbindungsleben fasziniert.
„Wiener Zeitung“: Beim 79. Pennälertag werden 90 Jahre MKV gefeiert. Wie geht sich das rechnerisch aus?
Thomas Weickenmeier: Der MKV wurde beim Katholikentag 1933 gegründet. Den ersten Pennälertag gab es aber erst ein paar Jahre später. Der Hauptgrund ist freilich – neben zwei Ausfällen durch Corona -, dass der MKV wie alle katholischen Verbindungen 1938 von den Nationalsozialisten verboten wurde, weil unsere Grundideen eines Österreich-Bewusstseins und eines katholischen Glaubens natürlich mit dem System des Nationalsozialismus in keinster Weise vereinbar waren. Es sind auch zahlreiche Kartellbrüder im KZ gelandet.
Waren damals deutschnationale Burschenschaften auch verboten?
Die haben sich teils selbst aufgelöst, weil ja ihr Ziel erreicht war, teils wurden sie aber auch verboten.
Wie geht der MKV heute mit ihnen um? Er wird ja immer noch leicht in einen Topf mit ihnen geworfen.
Wir versuchen, uns aktiv abzugrenzen. Durch die äußerliche Ähnlichkeit ist das Außenstehenden freilich mitunter schwer begreiflich zu machen, es sei denn, das Band trägt die deutschen Farben, dann ist eh klar, wo der Träger hingehört. Wir haben jedenfalls mit den schlagenden Burschenschaften genau gar nichts zu tun, bei allen unterschiedlichen Strömungen, die es innerhalb des MKV gibt. Das hat auch damit zu tun, dass die katholische Kirche nach wie vor die Mensur ablehnt.
Wie steht es denn um den Katholizismus in katholischen Verbindungen?
Ich würde sagen, das ist quer durch die Verbindungslandschaft verschieden. Der Grundkonsens, dass wir katholisch sind, bleibt natürlich bestehen. Der Besuch der Sonntagsmesse könnte freilich stärker sein. Bei den meisten Verbindungen ist aber das Bekenntnis da, mit Verbindungsseelsorger, religiösen Veranstaltungen. Das hängt halt auch von den handelnden Personen ab.
Wie konservativ muss man sein, um in den MKV zu passen?
Ich glaube, wir haben von sehr konservativ bis liberal-konservativ alles. Gerade die Pluralität macht es aus. Es gibt gewisse Eckpunkte, wo man sagt: Bis hierhin und nicht weiter. Aber grundsätzlich glaube ich nicht, dass man konservativ sein muss. Wenn man unter konservativ ein Aufbauen auf Werten wie Familie, Katholizismus, Österreich versteht, dann sollte man schon konservativ sein. Wenn man diese Dinge alle ablehnt, wird man sich bei uns auch eher nicht wohlfühlen. Aber der MKV hat 162 Verbindungen, hoffentlich bald 163, und da geht es im Tiroler Oberland anders zu als an einer Wiener Privatschule.
Den Vorwurf, gemeinsam mit dem CV eine Vorfeldorganisation für die ÖVP zu sein . . .
. . . würde ich so nicht stehen lassen. Die meisten Überschneidungen gibt es naturgemäß mit der ÖVP. Aber gerade wenn ich jetzt hier mit der „Wiener Zeitung“ spreche: Ich glaube, es gibt im MKV kaum jemanden, der es toll findet, dass diese Zeitung als Institution, die eigentlich ins Unesco-Welterbe gehört, von der ÖVP-geführten Regierung auf einmal nach 320 Jahren aufgelassen wird. Da gibt es sehr viel Unmut und nicht das geringste Verständnis für die Haltung der ÖVP.
MKVern werden auch ihre Seilschaften vorgehalten, die bis in die Politik und Wirtschaft reichen.
Ich glaube, die Zeit der reinen Netzwerke, egal in welche politische Richtung, ist schon lange vorbei. Netzwerke gibt es natürlich, und wenn man es Networking nennt, ist es lustigerweise sogar ein Berufszweig – bei uns wird es gleich als Freunderlwirtschaft ausgelegt. Ich würde es so sehen: Wenn sich bei mir jemand bewirbt, von dem ich weiß, dass er Karteller ist, dann weiß ich, dass er zumindest auf ein gewisses moralisches Grundgerüst aufbaut, das ich selber auch habe. Und wenn er gleich gut ist – und nur dann -, hat er einen gewissen Wettbewerbsvorteil. Wenn er schlechter ist, wäre ich in der heutigen Zeit gerade in der Privatwirtschaft blöd, wenn ich einen Deppen bevorzuge, nur weil er ein Band hat. Netzwerke gibt es ja grundsätzlich überall, nicht nur in den politischen Parteien. Und jene, die behaupten, sie haben keine, haben sie sicher auch.
Zahlreiche korporierte Bundesminister der Vergangenheit und Gegenwart belegen jedenfalls, dass der Weg vom MKV in die ÖVP naheliegend ist.
Es gibt MKVer auch bei den Neos, es gab den korporierten Minister Karlheinz Töchterle, der ursprünglich von den Grünen kam. Aber natürlich, wenn ich einer Partei angehöre, die grundsätzlich anti-kirchliche Wurzeln hat, werde ich mir im MKV eher schwertun.
Wie sieht es beim Nachwuchs aus?
Es geht aufwärts. Wir leben von den Jungen, denen wir Älteren unsere vier Prinzipien weitergeben. Dieser Generationenausgleich ist wichtig. Auf dem Land gibt es tendenziell mehr Probemitglieder als in der Stadt, aber vielen Verbindungen geht es recht gut. In Ebreichsdorf wird gerade eine neue MKV-Verbindung gegründet. Die Frage ist immer: Wie sehr lässt sich der Ältere auf den Jüngeren ein? Die Verbindungen, denen es nicht so gut geht, sind oft eher welche, die sagen: Wir sind ein Altherren-Stammtisch, und die Jungen wollen wir gar nicht. Aber wenn man die Jungen machen lässt, ihnen vertraut, ihnen Raum gibt für neue Ideen, dann kann das gut funktionieren. Erst vorigen Samstag hat Professor Anton Zeilinger, sicher einer der bekanntesten MKVer, erzählt, wie er in seiner Jugend in der Verbindung zu den Alten Herren gegangen ist mit völlig abstrusen Ideen, die er heute nicht mehr teilt. Das Schöne war: Sie haben ihm zugehört, mit ihm diskutiert und dann gemeinsam mit ihm den Weg entwickelt.
Gibt es ein Stadt-Land-Gefälle?
Ja, so wie beim gesamten Vereinsleben. Die Möglichkeiten, sich bei etwas anderem als in einem Verein zu betätigen, sind in Wien größer als auf dem Land. Und auf dem Land ist man natürlich auch bekannter. Dort geht zu Fronleichnam die halbe Verbindung mit bei der Prozession. Da gibt es Leute, die mögen sie, und welche, die mögen sie nicht – aber man weiß, dass es sie gibt. In Wien, wo uns viele wahrscheinlich gar nicht einmal kennen, versuchen wir jetzt wieder sichtbarer zu werden.
Täte sich der MKV mit Baseball-Kappen und Polo-Shirts, wie man sie von US-Studentenverbindungen kennt, leichter als mit Band und Deckel?
Das glaube ich nicht. Das eine wie das andere ist ein Identifikationsmerkmal. In Wien gehen übrigens gerade die Verbindungen besser, die beim Außenauftritt viel Wert auf seriöse Kleidung – sprich: Anzug – legen. Ich glaube, dass es für manche sogar wieder cool ist, zu etwas zu gehören, wo nicht jeder dabei ist.
Warum nehmen die MKV-Verbindungen keine Mädchen auf?
Es gibt inzwischen Damenverbindungen, die wiederum keine Männer aufnehmen. Es hat sich gezeigt, dass sich gerade zwischen 14 und 18 Jahren der Weg des Miteinander, aber in getrennten Vereinen bewährt. Meine Tochter ist in einer Mädchenverbindung. Die finden es toll, gemeinsam zum Pennälertag zu fahren, gemeinsame Veranstaltungen zu organisieren, wollen aber auch unter sich sein.
Manche sehen in Studentenverbindungen reine Saufvereine.
Alkohol ist ein Teil unserer Gesellschaft. Ich glaube nicht, dass wir mehr trinken als andere. Als Sohn und Vater eines MKVers kann ich nur sagen: Mir ist lieber, mein Sohn hat seine ersten Gläser in einem Verein, wo Erwachsene anwesend sind und es aus meiner Erfahrung heraus deutlich weniger zu Alkoholexzessen kommt als bei sonstigen Partys.
Sie sind dem Vater in den MKV gefolgt. Was hat Sie sonst noch überzeugt?
Wenn man mit 15 Jahren zu einer Verbindung geht, spielen Freunde und die Umgebung eine große Rolle, der Vater noch am allerwenigsten, weil man den eh nicht sehen will in dem Alter. Ich habe auch einen Haufen Freunde mitgenommen. Das Faszinierende war dann der Umgang zwischen Jung und Alt: wie ein 90-jähriger emeritierter Professor einen 14-Jährigen ernst nimmt, mit ihm ernsthaft über Dinge diskutiert. Und auch die Möglichkeit, verschiedene Aufgaben zu übernehmen: Du stehst als 16-Jähriger vor 200 Leuten und kannst dich ausprobieren, deine Grenzen austesten. Und du weißt: Wenn du einen Fehler machst, hat jeder von denen ihn auch schon gemacht, und keiner ist dir böse. Man übt ein bisschen für das spätere Leben. Wobei das zum Zeitpunkt des Beitritts nicht im Vordergrund steht, da kommt man erst später drauf. Natürlich auch die Vernetzung mit Coulerstudenten aus ganz Österreich, etwa beim Pennälertag, wo MKVer aus rund 100 Städten zusammenkommen. Der Beitrittsgrund ist aber wohl bei den meisten ein emotionaler.